1 Wachstumsinitiative der Bundesregierung
Anfang Juli 2024 hat sich die Bundesregierung auf eine sog. „Wachstumsinitiative“ geeinigt. Dahinter verbirgt sich eine Vielzahl geplanter Maßnahmen, um der deutschen Wirtschaft Impulse für mehr wirtschaftliche Dynamik zu geben. Teilweise wurde die Umsetzung der Planungen auch schon mit ersten Gesetzesentwürfen vorangetrieben (vgl. dazu Punkt 2 und 3). Aus steuerlicher Sicht lassen sich insbesondere folgende geplante Maßnahmen hervorheben:
- Abschreibungsbedingungen verbessern: teilweise bereits in Umsetzung, vgl. Punkt 2
- Ausweitung Forschungszulage: teilweise bereits in Umsetzung, vgl. Punkt 2
- Kalte Progression auch 2025 und 2026 vermeiden: teilweise bereits in Umsetzung vgl. Punkt 2
- E-Mobilitätsstandort stärken:
- Sonderabschreibung für Unternehmen für neu zugelassene vollelektrische und vergleichbare Nullemissionsfahrzeuge (rückwirkend zum 01.07.2024)
- Erhöhung des Deckels für den Brutto-Listenpreis von 70.000 € auf 95.000 € bei der Dienstwagenbesteuerung für E-Fahrzeuge
- Steuerliche Gleichstellung von ausschließlich mit E-Fuels betriebenen Kfz mit vollelektrischen Kfz
- Steuerrecht vereinfachen: Vorschläge von Experten-Kommissionen werden geprüft
- Mehrarbeit honorieren: Steuerfreie Zuschläge für Mehrarbeit, steuerlicher Anreiz für Ausweitung Arbeitszeit von Teilzeitbeschäftigten
- Arbeitsaufnahme in Deutschland steuerlich begünstigen: 30 %, 20 % bzw. 10 % steuerfreier Bruttolohn für ausländische Fachkräfte in den ersten drei Jahren
2 Steuerfortentwicklungsgesetz
Mit dem Regierungsentwurf des Steuerfortentwicklungsgesetz (vormals 2. Jahressteuergesetz) wurde noch im Juli 2024 einige Punkte aus der Wachstumsinitiative der Bundesregierung (vgl. Punkt 1) auf den Weg gebracht. Das Gesetz enthält aber auch Punkte zur Umsetzung von Aufträgen aus dem Koalitionsvertrag. Insbesondere sind folgende geplanten Regelungen zu nennen:
Anpassungen des Einkommensteuertarifs:
- Anhebung des Grundfreibetrags um 300 € auf 12.084 € im Jahr 2025 und ab 2026 um 252 € auf 12.336 €
- Anhebung des steuerlichen Kinderfreibetrags um 60 € auf 6.672 € in 2025 um 156 € auf 6.828 € in 2026
- Anhebung der Freigrenzen beim Solidaritätszuschlag für 2025 und 2026
Aufträge aus dem Koalitionsvertrag:
- Überführung der Steuerklassen III und V in das Faktorverfahren
- Anpassungen bei den Regelungen zur Gemeinnützigkeit (z.B. Abschaffung Pflicht zur zeitnahen Mittelverwendung)
- Mitteilungspflicht über innerstaatliche Steuergestaltungen
Maßnahmen des Wachstumspakets:
- Reform der Sammelabschreibungen durch Einstieg in die Gruppen- bzw. Pool-Abschreibung (Anhebung auf 5.000 €)
- Fortführung der degressiven Abschreibung für im Zeitraum 2025 bis 2028 angeschaffte oder hergestellte bewegliche Wirtschafts-güter des Anlagevermögens und Anhebung auf das Zweieinhalbfache des bei der linearen Abschreibung in Betracht kommenden Prozentsatzes, höchstens 25 %
- Ausweitung der steuerlichen Forschungsförderung durch eine weitere Anhebung der maximalen Bemessungsgrundlage um 2 Mio. € (auf max. 12 Mio. €)
Weitere Maßnahmen:
- Anhebung des Kindergeldes ab Januar 2025 um 5 € auf 255 € monatlich und ab Januar 2026 um weitere 4 € auf dann 259 € monatlich
- Steuerbefreiung der Stiftung Generationenkapital
- Digitalisierung der Sterbefallanzeigen
Der Gesetzesentwurf gilt nicht zuletzt aufgrund des neuerlichen Versuchs, eine innerstaatliche Meldepflicht für Steuergestaltungen einzuführen oder die Steuerklassen III und V abzuschaffen überwiegend als politisch umstritten. Ob die Regelungen in der geplanten Form tatsächlich kommen, bleibt daher abzuwarten. Hier muss die weitere Entwicklung aufmerksam verfolgt werden.
3 Gesetz zur steuerlichen Freistellung des Existenzminimums 2024
Der Grundfreibetrag und der Kinderfreibetrag für das Jahr 2024 wurden zwar bereits durch das Inflationsausgleichsgesetz vom 08.12.2022 angepasst. Allerdings hat sich aufgrund aktualisierter Daten gezeigt, dass die sozialrechtlichen Regelbedarfe zum 01.01.2024 stärker gestiegen sind als ursprünglich prognostiziert. Infolge der höheren Fortschreibung der sozialrechtlichen Regelbedarfe ergibt sich auch bei den o.g. steuerlichen Freibeträgen ein erneuter Anpassungsbedarf. Diesen will die Bundesregierung durch das Gesetz zur steuerlichen Freistellung des Existenzminimums 2024 zeitnah umsetzen.
Geplant ist, für den Veranlagungszeitraum 2024 den Grundfreibetrag um 180 € auf 11.784 € und den steuerlichen Kinderfreibetrag um 228 € auf 6.612 € anzuheben. Dabei ist vorgesehen, dass die (rückwirkende) Anhebung des Grundfreibetrags bei den Arbeitnehmern lohnsteuerlich bei der Lohn-, Gehalts- bzw. Bezügeabrechnung für den Dezember 2024 umgesetzt wird. Dadurch sollen Bürokratiekosten, die sonst durch die Änderung einzelner Abrechnungen (seit Januar 2024) entstehen würden, vermieden werden.
Das Gesetzgebungsverfahren ist noch in einem frühen Stadium. Es wird jedoch damit gerechnet, dass das Gesetz rechtzeitig in Kraft treten kann.
4 Aussetzungszinsen von monatlich
0,5 % verfassungswidrig?
Hintergrund
Wird gegen einen Steuerbescheid Einspruch eingelegt, so hat dies grundsätzlich keine aufschiebende Wirkung. Die Steuern müssen zunächst dennoch in festgesetzter Höhe entrichtet werden. Ist der Einspruch erfolgreich, erhält der Steuerpflichtige eine Erstattung.
Soll abweichend von diesem Grundsatz die Wirkung des Steuerbescheides aufgeschoben werden, so ist ein Antrag auf Aussetzung der Vollziehung (AdV) zu stellen. Ergeben sich in einem summarischen Verfahren ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheids, so ist dem Antrag stattzugeben. Die Steuern müssen dann (vorerst) nicht gezahlt werden.
Unterliegt der Steuerpflichtige im Hauptsacheverfahren schlussendlich (z.B. nach Einspruchsentscheidung), so wird die AdV aufgehoben und die dann (aus Sicht der Finanzverwaltung) nicht länger strittigen Steuern sind zu entrichten. Zusätzlich werden für die Dauer der AdV monatlich ca. 0,5 % (= 6 % p.a.) Zinsen fällig.
Sachverhalt
Im Streitfall hatte der Kläger Einspruch und später Klage gegen den Einkommensteuerbescheid 2012 eingelegt und AdV beantragt. Die AdV wurde gewährt.
Als die Klage endgültig abgewiesen worden war, forderte das Finanzamt die offenen Steuerbeträge ein und erhob Zinsen für die Dauer der AdV
(78 Monate) i.H.v. 0,5 % je Monat.
Hiergegen wehrte sich der Kläger erneut. Er bezweifelte, dass die Festsetzung von Aussetzungszinsen in der o.g. Höhe verfassungskonform sei.
Entscheidung des BFH
Der VIII. Senat des BFH pflichtete dem Kläger nun kürzlich bei. Auch er hielt den gesetzlichen Zinssatz i.H.v. 6 % p.a. für verfassungswidrig.
Jedenfalls in einer anhaltenden strukturellen Niedrigzinsphase seien 6 % Zinsen p.a. evident nicht mehr realitätsgerecht.
Der BFH legte den Fall nun dem Bundesverfassungsgericht (BVerfG) zur Entscheidung vor.
Hinweis
Das BVerfG hat zwar bereits 2021 entschieden, dass die regulären Nachzahlungs- bzw. Erstattungszinsen i.H.v. 0,5 % pro Monat jedenfalls ab dem 01.01.2019 unzulässig seien. Hiermit ist über der Verfassungsmäßigkeit der AdV-Zinsen aber noch nichts gesagt. Das BVerfG muss sich nun erneut mit der Frage der Höhe verfassungskonformer Zinssätze beschäftigen.
Sämtliche Bescheide über AdV-Zinsen sollten mittels Einspruch angefochten und Ruhen des Verfahrens bis zu einer Entscheidung des BVerfG beantragt werden.
5 Zukünftige Rechnungspflichtangabe, geplante Nichtbeanstandungs-regelung
Hintergrund
Mit dem Jahressteuergesetz 2024 soll eine neue Rechnungspflichtangabe für umsatzsteuerliche Ist-Versteuerer eingeführt werden. Außerdem soll der Zeitpunkt des Vorsteuerabzugs beim Leistungsempfänger künftig davon abhängen, ob der Leistungserbringer Soll- oder Ist-Versteuerer ist. Damit will der Gesetzgeber entsprechende Vorgaben des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) umsetzen.
Diese Neuregelung wird einen zusätzlichen Aufwand für die Wirtschaft bedeuten. Die Finanzverwaltung hält diesen aber aufgrund der Vorgaben des EuGH für unvermeidlich.
Um den Unternehmen jedoch ausreichend Vorbereitungszeit für die erforderlichen Umstellungen zu verschaffen, soll die Neuregelung – einen Beschluss durch den Gesetzgeber vorausgesetzt – erst mit zeitlichem Vorlauf zum 01.01.2026 in Kraft treten.
Problematik
Bei Leistungsbezug von einem Ist-Versteuerer soll der Vorsteuerabzug für den Leistungsempfänger künftig erst möglich sein, soweit eine Zahlung auf dessen Rechnung geleistet worden ist. Die für die Bestimmung des zutreffenden Zeitpunkts des Vorsteuerabzuges notwendige Information erhält der Leistungsempfänger zukünftig prinzipiell über die neue Rechnungspflichtangabe. Allerdings kann im Hinblick auf Unionsrecht eine Rechnungspflichtangabe nur für den Fall eingeführt werden, dass der Leistende der Ist-Versteuerung unterliegt. Die Einführung einer entsprechenden Angabe für den Fall, dass der Leistende der Soll-Versteuerung unterliegt, ist unionsrechtlich nicht möglich.
Fehlt die neue Rechnungspflichtangabe in einer Rechnung, weiß der Rechnungsempfänger damit im Regelfall nicht, ob es sich bei dem Leistenden tatsächlich um einen Soll-Versteuerer handelt oder um einen Ist-Versteuerer, der fälschlicherweise die neue Rechnungspflichtangabe nicht in die Rechnung aufgenommen hat.
Angestrebte Lösung der Finanzverwaltung
Um einen daraus für den Rechnungsempfänger eventuell resultierenden Nachteil zu vermeiden, haben das Bundesministerium der Finanzen (BMF) und die obersten Finanzbehörden der Länder bereits über die Möglichkeit einer Nichtbeanstandungsregelung für gutgläubige Rechnungsempfänger beraten und im Ergebnis eine solche im Grundsatz befürwortet.
Die Umsetzung soll nach der derzeitigen Planung zu gegebener Zeit über ein BMF-Schreiben erfolgen.
6 Verordnung zur Vergabe steuerlicher Wirtschafts-Identifikationsnummern
Die bundesweite Einführung der Wirtschafts-Identifikationsnummer (W-IdNr.) startet: Zum 01.11.2024 soll mit der initialen Vergabe der W-IdNr. begonnen werden. Die initiale Vergabe und die Mitteilung an die wirtschaftlich Tätigen erfolgt in mehreren Stufen und soll 2026 abgeschlossen werden. Die W-IdNr. ist eine eindeutige Identifikationsnummer, die allen wirtschaftlich Tätigen in Deutschland zugewiesen wird. Dies betrifft Unternehmen aller Rechtsformen. Perspektivisches Ziel der Einführung der W-IdNr. ist die Vereinfachung der Kommunikation zwischen den wirtschaftlich Tätigen und Behörden sowie zwischen den Behörden untereinander. Einzelheiten sollen in der Wirtschafts-Identifikationsnummernverordnung geregelt werden. Hierzu zählen:
- Zeitpunkt der Einführung der W-IdNr
- Richtlinien zur Vergabe der W-IdNr.
- Fristen zu Löschung
Die Umsetzung soll durch das Bundeszentralamt für Steuern (BZSt) erfolgen. Es hat kürzlich auch einen FAQ-Katalog zur W-IdNr. herausgebracht. Dort finden sich z.B. die nachfolgenden Aussagen:
Wer bekommt eine Wirtschafts-Identifikationsnummer und warum?
Die W-IdNr. wird an alle wirtschaftlich Tätigen vergeben. Wirtschaftlich tätig können natürliche Personen, juristische Personen und Personenvereinigungen sein.
Wirtschaftlich Tätige, die gesetzlich zum Abführen von Umsatzsteuer verpflichtet oder Kleinunternehmer nach § 19 UStG sind, erhalten ab November 2024 ihre W-IdNr. Sollten Sie zu keiner dieser Gruppen gehören, wird an Sie zum jetzigen Zeitpunkt noch keine W-IdNr. vergeben.
Die W-IdNr. ermöglicht eine eindeutige Identifizierung des wirtschaftlichen Tätigen im Besteuerungsverfahren.
Werden mehrere W-IdNrn. erteilt, wenn mehrere Gewerbe betrieben werden?
Jeder wirtschaftlich Tätige erhält zur eindeutigen Identifizierung im Besteuerungs- und Verwaltungsverfahren eine W-IdNr. Sofern der wirtschaftlich Tätige über mehrere wirtschaftliche Tätigkeiten, Betriebe oder Betriebsstätten verfügt, wird die W-IdNr. lediglich durch weitere Unterscheidungs-Merkmale (U-Merkmal) ergänzt.
Wann erhalte ich meine W-IdNr?
Wirtschaftlich Tätige, die gesetzlich zum Abführen von Umsatzsteuer verpflichtet oder Kleinunternehmer nach § 19 UStG sind, erhalten die W-IdNr. ab November 2024. In den übrigen Fällen erfolgt die Vergabe und Mitteilung zu einem späteren Zeitpunkt.
Wenn bis Ende November noch keine W-IdNr. mitgeteilt worden ist, hat das keine Nachteile. Eine Angabe der W-IdNr. in steuerlichen Erklärungsvordrucken ist bis zum Abschluss der erstmaligen Vergabe optional.
Ist die W-IdNr. kostenpflichtig?
Die W-IdNr. wird ausschließlich vom BZSt vergeben. Das BZSt stellt hierfür keine Kosten in Rechnung.
Der vollständige FAQ-Katalog bezüglich der W-IdNr. kann hier abgerufen werden:
7 Weitere Informationen
Die vorstehenden Ausführungen und Beiträge sind nach bestem Wissen und Kenntnisstand verfasst worden. Es handelt sich nicht um abschließende Informationen und ersetzt keine Beratung. Eine Haftung für den Inhalt dieses Informationsbriefs kann daher nicht übernommen werden.
Gerne beraten wir Sie zu diesen und anderen Themen.
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